23. Dezember 2010

star




einer
ist keiner
viele
sind lärm
sind hunger

bin ich es
der dich
an der
erde hält?

dann fliege
fliege weg
komme wieder

er ist
still genug
der winter


© schneewanderer



korrektur eines irrtums




fast dreißig jahre
nach einem menschen
nach einem gedicht

das gedicht
wieder lesen
nach dem man
diesen menschen
wieder gesehen hat

die freude darüber
wie ein gedicht

das bessere

für u.


© schneewanderer



heimwärts




du schon wieder
immer am ende

immer am anfang
von jahr und tag

der himmel
mochte dich

ließ dich
fallen aber

sein weinen
wurde weiß

bis heim
bis zu dir

bis in den schnee


© schneewanderer



langhurst XIV




einer ging
immer voraus
hinein in
den wald

unter den schatten
unter das licht

nun bin
ich mit dir
gegangen
ans ende
der bäume

zu den ältesten


dort wo
sich der
teufel wärmt
am offenen kamin


© schneewanderer



8. Dezember 2010

schatten




keiner

selbst
sprichtst du
auch dunkel
um dunkler

kommt
die wahrheit
ins alter
mag sie
diese farbe

und das blau
der meisen
die ich dir
ans fenster lockte

dem vater gewidmet
einem von ihnen


© schneewanderer



winterfrage




wenn mir
jeder vogel
überm schnee
nur eine feder
schenkt

wem soll ich nur
die körner
in den schnabel
legen?

der winter
wird nie
fliegen lernen

dem frühling
ist's egal
wie viele
ihn begrüßen

nachher gehe
ich nach der antwort


federn sammeln
und den flug


© schneewanderer



tuch




den turm
in buchenwald
als dürrer finger
in den himmel:
so sah ich ihn

dachte
hier dürfte es
nie schneien

nichts dürfte
je bedecken
was nie
verborgen
war

aber vielleicht
sind es ja tränen
dieser schnee

dieses
weiße
tuch
aus trauer


© schneewanderer



fink




braun im laub
braun im staub
so sehen
wir uns
wieder

zehn jahre
zehn tage
danach

als kleiner vogel
auf dem weißen stein
als kleiner mensch
vor diesem stein
vor diesem vogel



kämen alle
mütter wieder
der himmel wäre
voller buchfinken



meiner mutter gewidmet
meinem vater gewidmet
der eine wartet
mit dem anderen


© schneewanderer



13. November 2010

november




nackt endlich
erde und baum

unter letztem
fand ich
vor wochen noch
keinen himmel

nun sehe ich
unter ihm
bis an die sterne

und er schämt
sich dafür
weit übers
erste weiß
hinaus


© schneewanderer



Öömrang




wind
dein kind

eines

mit ihm
das gras
der sand

keines
kehrt
zurück
an die
wiege

so wurdest
du alt

mit dem wind
dem gras
und dem sand


© schneewanderer



strandgut




eigentlich
sind es ja zwei

ineinander
verschlungen
als gäbe es
nur diesen
einen halt
gegen das meer

lange
hattest
du sie
in händen
diese muscheln

und ich wage
zu wissen
welche namen
du ihnen gibst


© schneewanderer



insel amrum im november




die großen schwärme
gibt es nicht mehr

die der vögel
die der menschen

mit so wenig
glücklichen
teilen wir
wind
gras
und
sand

wiederkehrende
im kalender
von kommen
und gehen


© schneewanderer



geständnis




irgendeiner
wird
irgendwann
sagen

er hätte
öfter
sprechen
sollen
anstatt
zu schreiben

aber nie
werde ich
lauter zu hören
sein - deutlicher

wie in
diesem fehler
den ich
gerade
wieder begehe


© schneewanderer



18. Oktober 2010

jurka




was sollte ich
dir schreiben

dir
und
den
menschen?

keine angst
vor deines
gleichen

vor deinem
eigen blut

keine zäune

keiner
hoch
genug

wegen
deines
gleichen


als ich die bärin sah,
die spuren ihrer krallen
am baum - sie hat
es ihren sohn gelehrt:
das bäume klettern.


© schneewanderer



habitat




laßt mir
ein paar
bäume

in den räumen
zwischen ihnen
und gestern

laßt mir zwei
von ihnen

damit einer
den anderen
beweinen kann


© schneewanderer



mich lesen




ihr seht
was ich sehe

seht das wenige
seht hindurch
seht darüber hinweg

mehr sollte
es nie sein
als diese
ein
zwei
welten
ertasten


© schneewanderer



schauen XVI




am abend
drei
vereinsamte
gänse
unterwegs
in richtung
wiederkehr

ganz weit weg
an diesem himmel
da wo ich
kaum mehr
erkenne
den unterschied
zwischen
gehen
und
bleiben


© schneewanderer



geneigt




die kapelle
turm im
grün und braun

dann den
kreuzweg
hinunter

dort
schwören
alle bäume
stein und
wurzel:

sie war es
die erde
die uns
nicht mehr hält

seid still
ihr dummen
bäume!

habt ihr
schon vergessen
wie dünn der ast
von der wiege
bis zum grab?


© schneewanderer



vorhergegangenes




ein weg
noch einer

keiner von uns
blickte zurück

sah nur
den anderen
sah sich
im anderen

aus sehen
wurde gehen

einen weg
gemeinsam


© schneewanderer



schauen XV




noch ahne ich nur
die blaue blüte
unten im garten

das moos
heimgebracht
auf daß es
heimisch werde
mit uns

gerade in diesem moment
da der tag beginnt
wurzeln zu schlagen
in mensch
und licht


© schneewanderer



die wartburg im jahre 2010




soviele füße heute
auf dem felsen
zu nichts käme
er mehr

nichts käme zu tale
nichts zu buche

und nach elf wochen
würden sie ihm nicht
einmal die parkgebühren stunden
dem kleinen mönchlein


© schneewanderer



im kurpark




vergeblich
all die mühen
den aufrechten
gang aufs neue
zu erlernen

wären da
nicht gewesen
der kleiber
am weg
der baum

an ihnen
wog ich
den schmerz
befand ihn leicht

leicht wie den vogel
leicht wie den baum

leicht wie den sommer
der die hand reicht
dem herbst


© schneewanderer



auf dem kandel




so wenig
kann man sein

wind
wie er
die wolken
zusammentreibt
unter blauem himmel
unter regenhimmel

die silberdistel
verschließt sich
unseren blicken
wir ahnen nur
ihr erwachen

später höre ich
er hat den schnee
gerufen der berg
im august noch

und ich wage
es mir vorzustellen


© schneewanderer



zwei mit schuld




sie also
sind es
die elstern
heute morgen
auf dem kalten
schornstein gegenüber

die dem
sommer drohen
in schwarz
in weiß

als er wäre
schon
geworden

alt
und
älter

herb
und
herbst


© schneewanderer



auf dem weisbauernhof / simonswald




das huhn
spielt
katz
und
maus
mit der
katze

im hof
ein baum
deutlich
unter ihm
ein kreuz

die sah ich
tier und baum
diesen gott
der sich hierher
flüchtete
in diesen
spätsommermittag
in den schatten
der zeit


© schneewanderer



an marx in halle




sogar die vögel
meiden das haus
von dem du noch
immer herunter blickst

mosaik aus steinen
von denen nie
einer zum
anderen gehörte

ein glück
für mich
ein glück
für die zeit
daß ich fast
über dich
hinweg blicke


© schneewanderer



tiere




die dächer
gegenüber

heute morgen
im nebel
sind sie
wie tiere

alt
grau
müde

wie rücken
eines lebewesens
voller narben
zugezogen
bei manchen fluchten

aber jeden morgen
finden sie sich
wieder ein

die roten
die braunen

die mit elstern
auf dem rücken
die mit himmel
auf dem rücken

so als wären sie
nie der erde
leid gewesen


© schneewanderer



4. September 2010

rotwein und käse




so - jetzt werd ich meinen witz über österreicher hier
nicht mehr los: schon zwei...
1 1/2

da habe ich was angefangen, wenn mir hier einer
eine entschuldigung schreibt für meinen chef, für
mich: dann mache ich weiter.
mache ich aber auch so.

keine guten stichwörter: rotwein und käse.
sehr gute stichwörter.

hast du schon mal französischen "pomerol" getrunken,
einen roten? oder "sauternes" einen likörwein?
solltest du, wenn nicht.
streifen beide haarscharf das betäubungsmittelgesetz,
ganz, ganz knapp. aber so was von fein.....

irgendwie suche ich mir die wohnorte nach weingegenden
aus - der anfangsverdacht erhärtet sich immer mehr.

für schutterwald kann ich nichts, von da aus kann man
hinlaufen: in die guten weine.
durbach, oberkirch, gegenbach - rammersweier.

frankreich bin ich irgendwie entschuldigt.

und hier jetzt: die ganze nachbarschaft hat eigene weinberge.

und hier jetzt II: kürnbacher schwarzriesling, baujahr 2004

nur blöd irgendwie, daß ich morgen früh arbeiten muß


© schneewanderer



im elsaß




immer wenn ich ludwig hirsch höre,
möchte ich ihn eigentlich
viel lieber neben mir hören....
aber sicher mag ich ihn, sehr.

schuld war eigentlich ein wg-mitbewohner,
der wurde ursprünglich mal als frank getauft.
so einen netten menschen jahrelang als nachbarn!
der hörte soviel ludwig hirsch, daß er selbst mal nur
noch ludwig genannt wurde. so kam das dann mit
der musik. durfte mithören - fast zehn jahre.

gelsendippel - da soll ich jetzt fragen danach?

fast schlimmer wie der witz - den ich nicht erzählen
werde, schlimmer für dich: die wg war im elsaß

weil, zwei häuser weiter war, war?
die dorfbäckerei.

unter der woche schon die vorstufe zum paradies.
aber am sonntagmorgen, das richtige paradies.
croissants nur aus butter. mächtig, mächtig viel butter.
eclair´s (liebesknochen heißen die glaube ich auch noch)
mit pudding dazwischen, schokolade, vanille.....

zähne lang machen heißt das wohl, in schutterwald.
galube ich.

viel lieber sagen: könnte irgendwann zum problem werden,
hochdeutsch halte ich nicht lange durch.
lachen schon.


© schneewanderer



wien ~ schutterwald




wien

ludwig hirsch hat mich irgendwann und irgendwie
verdorben, für den normalen humor.
weitestgehend (ist das noch deutsch?)

ich kenne ja da einen guten witz über
österreicher - aber den behalte ich
für mich.
auch wenn´s schwer fällt.

nein, kein wort über meine lippen.
noch nicht.

sonst muß ich meine eintrittskarte
wieder abgeben - für hier.
mindestens.

dann verrate ich dir aber noch
wo ich herkomme, geboren bin.

schutterwald

auf´s fahrrad setzen: in einer knappen stunde
kannst du vor dem straßburger münster sitzen,
einen milchkaffe trinken und croissants essen.

fahrrad ist aber nicht so gut, die fahren da wie die
henker...... noch schlimmer.............

von allen seiten wirst du angelacht da
in schutterwald. schwarzwald, vogesen.
und selbst lachen sie auch gerne.
da wo ich herkomme.


© schneewanderer



2. September 2010

Mal




Zwei Dübel
für jeden Teller
an der Wand
zum Garten

wo sie hingen
scheinen Sonnen jetzt

mit einem Rand
aus Grau


© schneewanderer



dichter dran




das wort
setzt sich fort

in uns

füllt aus
die orte

von denen
wir sonst
nur ahnen
könnten

daß zeit für sie ist
nahe zeit


© schneewanderer



tränen. nicht nur




glück und unglück
reichen sich
die hände

eine kalte hand
eine warme hand

und
dazwischen
worte

davor
danach


© schneewanderer



auf der suche II ...




in stänidger furcht
die großen städte

ihr grau

vor
einem
einzigen
winzigen
grünen halm


© schneewanderer



1. September 2010

einhorn II (Aus der Galerie)




das gleiche
das scheue tier

vielbeinig

der wunsch

willst du ihn
festhalten
flieht er

vergiß ihn
und er ist da


© schneewanderer



einhorn (Aus der Galerie)




kluges tier
das scheue tier

junges tier
so schnell
daß es
entkommt

der erinnerung
dem vergessen


© schneewanderer



gevatter




zwei männer
am grab
einer frau

vater und sohn

seit sieben jahren
sind sie sich einig
im schweigen

bis eine stimme
die stille unterbricht

redet
lacht

schreibt

mein schweigen
das letzte

es ist keines


© schneewanderer



auf der suche ...




vor dem
grau
blühen
die hoffnungen

der wüste mensch
einhalt zu gebieten


© schneewanderer



absprache




keiner erschreckt
den anderen

mensch
nicht den vogel

vogel
nicht den wurm

eine jahreszeit
die andere

so steht es
geschrieben
auf einer
der letzten
seiten
des sommers



© schneewanderer


worte unterm holunder



ein blatt
wird mich
erschlagen

mich
bedecken
dann

ein blatt
von dessen baum
von seiner blüte
ich vorher trank



© schneewanderer




Words under the elder tree
a leaf
will strike me
dead
and
cover me
then

a leaf
of the tree
from whose blossoms
I drank before

(übersetzung c.h.)




18. August 2010

schlagbaum




wenn es ginge
das du gehst
an diese
eine grenze

bis dahin
wo ich
warte
auf
dich

dann schlage
ich vor
einen baum
als treffpunkt




© schneewanderer


worte vom holunder




ein mensch
wird mich suchen
mich entdecken dann

ein schatten
nach dessen licht
nach dessen worten

mich vorher dürstete




© schneewanderer


Herbst kommt




Die Himbeeren
spielten Wald
im Juni

so schielen
ihre Ausläufer
in Richtung
Dachfirst

zwei eingeschüchterte Kirschen
halten dem Juli die Stellung:

ein einziges Paar Rot
am Rande der Straße
in den August



Für Sherdil




© schneewanderer


Ausrede




Sie werden
mich holen
kommen

meine Worte

dorthin
wo ich
nie sein werde

und so lange
schon bin




© schneewanderer


Wenn du wieder singst




An dem Tag
falten wir
Papierflieger
aus den Arztberichten

streichen sie glatt hinterher

das beste Notenpapier
das mit Wind
zwischen den Takten

an dem Tag
wird deine Stimme
laut genug sein
hell genug
schön genug

deinem Tod
die Stimme
zu nehmen

dein bester Tag dann

sein Schlechtester




© schneewanderer


Nicht heute




Man findet
mich nicht
obwohl
meine Anwesenheit
registriert wurde

Genau und penibel

Bis in die Sekunde
wie jeden Morgen

Will glänzen heute
durch Abwesenheit

Den paar Worten
näher sein
die ich registriere
kurz bevor
mein Dasein
erfaßt wird



© schneewanderer


12. August 2010

traumbaum




in deiner jugend sah ich dich
größer als wir menschen
je sein werden
je sein können

man grub dich
in fremde erde
bis du ein teil
wurdest von ihr

einer mehr
zum himmel hin
einer mehr
an den ich
meine hände
legen will


Der Küstenmammutbaum (Sequoia sempervirens)
wurde im Jahre 1893 im Exotenwald in Weinheim gepflanzt


© schneewanderer


steine




sie liegen noch
reihe an reihe
wir er sie
dort haben wollte

wie sie ihn
lesen ließen
in stein und mensch

vorgestern
war ich noch
einmal mit ihm
fast oben
in seinem
kleinen himmel
von damals

oben auf dem turm
den er mit seinen
händen vor der zeit
bewahrte - um diesen
einen sommer mehr

meinem vater gewidmet

ein gedicht so schreiben
wir er steine aneinander reihte....


© schneewanderer


schloß ortenberg/ortenau




der kleine finger
genügt
der kleinste

mit ihm
von hier
oben aus

kannst du
alles berühren

land
zwei länder
himmel und erde

die weinberge
den schwarzwald

sogar der wind
und die sonne
halten still
für diesen
einen moment
in dem du
blickst auf alles


© schneewanderer


altes lied




nicht das
alte lied
singen
nicht das
gleiche

von wegen
alt werden
miteinander
und so

stolz auf dich sein
bringst du eine
pusteblume
halbwegs
heil
heim

das gewitter
alle gewitter
bestaunen mit dir
wie kleine kinder

so will ich
leben mit dir
jeden unserer tage
bis einer
dem anderen
nachts die decke
über die
kalten
schultern
legt


© schneewanderer


montag




ja
ich sehe
dir nach

so vieles
so viele male

wie heute
an diesem morgen
als du gehst
mit dem sommer

aber ohne sorge
mein blick
weil er mich
wieder findet
wie du mich
gefunden hast

weil ich
warte
voller
erwartung
in dein warten


© schneewanderer


komplott




nur mit dir
nur heute
teile ich
grund
und
boden

diesen abend
im sommer

diesen grund
warum du
dich wagst
in die nähe
von gras
und mensch

und vogel
schweigt
über den
menschen

und mensch
schweigt
mit der amsel


© schneewanderer


mitteilbares




so sind wir
allem eine
spur näher

hier wo
wir dem
himmel
auf den
pelz rückten

sei unbesorgt
nachts hat
er krallen
und maul

uns laut
daran zu
erinnern
daß wir ihn
teilen dürfen
diesen garten


© schneewanderer


grund




bis morgen
mich sagen hören
am telefon

am anderen
ende
an keinem
ende
angelangt

mein vater

auch durch ihn
bin ich morgen

ein wenig heute
viel von gestern


© schneewanderer


sommermorgen




eine perle
der morgen

der tag
wird sie
in seine hand
nehmen

kleiner
und
wärmer
und
wärmer
macht die hand
den morgen

so wird sein
nur noch
tag
so wird sein
nur noch
sommer

und die kühle
wird wachsen
ins morgen


© schneewanderer


genesung




kein schatten
über der zeit
kein schatten
über mir

wäre sie
immer nur
so leise
gewesen
in meiner zeit

sie müßte nicht
ihr lager suchen
hier neben mir
auf gräsern


© schneewanderer


du in farben




eine von ihnen
einen der regenbogen
man hätte es
zufall nennen können

du aber
standest
unter zweien
an deinem
glücklichsten tag

mich nahmst du mit
an beide enden
in den einen anfang


© schneewanderer


bremsweg VXI




kein gras
bedeckt dich
nie wird es mehr
hoch genug sein
dich zu verbergen

wie du dich
nicht mehr
verstecken kannst
vor tod und mensch

kommst du
wieder
kleiner
monatiger
fuchs
meide mensch
meide den tod

und dieses gedicht


© schneewanderer


in der kirche zu zwätzen / jena




wieder ein fluß
wieder fand
blau das gelb

hier durftest
du weinen

hier wo
sich fanden
leben und glück


meiner frau gewidmet


© schneewanderer


vorsätzlich




ja gesagt
werde ja sagen
gestern
übermorgen
immer

zu dir
zu uns

einziges wort
unter uns menschen
kleines wort
neben den anderen
schönstes wort
für uns menschen

für chris


© schneewanderer


nicht mehr




nicht mehr
was es braucht
ein jahr fast
nach dem meer

die vorstellung
sandkorn zu sein
bewegt nur noch
durch das wasser

sein kommen
sein gehen

eines unter vielen
eines unter keinen


© schneewanderer


fledermäuse




die ersten
sterne
am abend

lautlos
wie die
helleren
fangen auch
sie unsere blicke

werden vermißt
am tage
an so vielen tagen
ohne sie


© schneewanderer


03.06.2010




verläßliche
wärme
endlich

im garten
finde ich dich
umgarnt
von
efeu
holunder
wein

hier bleibe

hier
werde ich
dich finden
müßte ich dich
jemals suchen


© schneewanderer


schauen XIV




der himmel
ein graues band
als flechte einer
zusammen
regen und wolken

nimmt er
in die hand
das eine
läßt er los
das andere

wir würden uns
um diese kleinigkeit
nicht mehr so sehnen
nach wärmeren tagen


© schneewanderer


im rechten licht besehen




vorhaltungen
sind meist nur
nachgetragenes


© schneewanderer


ein garten in tschernobyl




da ißt einer
von dem
was geblieben ist
nachdem nichts
mehr war

(er meidet aber
den sauerampfer)

er mißt
das unermeßliche
das unbegreifliche

blickt er in den himmel
sieht er die schwalben
wenige nur noch
mit flügeln
wie sie waren

blickt er auf die erde
sieht er eine welt
wie sie nie
hätte sein dürfen


© schneewanderer


pfingsten bei wöschbach / pfinztal




hier sollten wir bleiben
den sommer über
alle sommer

wir würden vergessen
alle jahreszeiten
all ihre namen

und uns selbst
würden wir
nennen
mensch


© schneewanderer


amsel und abend




letzt gesehenes
lebendiges
im grün

sehe ich dich
sind sie
müde geworden
die flügel
vom tag

unter euch
will ich mich legen

unter vogel
unter grün
unter tag


© schneewanderer


unterm kirschbaum




nie waren wir sicherer
uns und dem schlaf
als hier im mai

wie wir
uns sicher sind
unter allen bäumen
in allen nächten


© schneewanderer


12.05.1935




in viereinhalb jahren
hat der krieg begonnen

neunzehnhundertvierundvierzig
bist du ein dünnes mädchen
die kommunionkerze in der hand

wir hätten gerne gefeiert
dieses beinahe alt gewordene leben
mit dir zusammen
ohne die wir nicht wären
heute - am zwölften mai zweitausendundzehn

meiner mutter gewidmet


© schneewanderer


auf der heimfahrt




keine sicherheit
außer der
du bist
eingeschlafen
zwischen
der einen heimat
und der anderen

und wachst du auf
warst du ihnen
nie näher


© schneewanderer


im mühltal bei eisenberg




bach und wald
lange nährten sich
mensch und mühle
von ihnen

nun braucht es
den menschen
der ruhe
herr zu werden


© schneewanderer


weitblick




irgendwann
ist all mein glück
die wenigen talente
verbraucht

eine sorge
nur noch
die ich hätte

daß an diesem tag
der holunder nicht blüht

du gehst nicht
ans telefon

ich kann dir
nicht sagen
freitag sehen
wir uns
das erste mal


© schneewanderer


blessur




wer hat dir
ein bein gestellt
armer mai?

daß du
so gefallen bist
zurück in
längst vergessene
wetter?

hier
nimm meine hand
damit du weiter
schreiten kannst
im jahr

die aus sorge
um die
junge brut

die aus sehnsucht
nach deinem gehen


© schneewanderer


dazwischen




zur neige gehender raps
dicht am letzten haus
sein blühen soll
keinen mehr täuschen!

felder
sortiert
in grün
und gelb

an ihren rändern
alte obstbäume
einer gibt dem
anderen eine
krankheit weiter

dann endlich
der bach

hier sind wir
gegangen

nach einem regen
vor einem regen


© schneewanderer


11. August 2010

abel archer 1983




diesen knopfdruck
weit
waren wir
dem untergang
nahe

den
den die
vernunft
verhinderte
oder
die einsicht
daß er alle
grenzen
verwischt hätte

so nahe
am atem
des drachen
so ruhig damals
unser schlaf


© schneewanderer


braunschweig - vor dem dom




erweckt es ihn
noch einmal
das glockengeläut
sonntags
am morgen?

wohin er
dann auch blickte
der löwe
er sähe
keine andere welt
keine bessere

wieder nur die
die ihn erhob
näher dem stein
nicht nahe genug
dem himmel


© schneewanderer


friedhof in königsfeld / schwarzwald VII




johann
conrad
rinderknecht
ein leichtes
dein grab
wieder zu finden

der gelben fingerzeige
waren es genug
hier im april

hier wo sie dich
legten ins moos
als einen der ersten
einer unter vielen

brüder und schwestern
die sich gleichen
wie kein baum
dem anderen


© schneewanderer


besuch




drei katzen
in deinem garten
drei gänse
am teich
im kirschbaum
der mond

all das sah ich

und den frühling
der sich hinauf wagte
bis zu dir

bis hinein
in erwachende
tulpen

angelika gewidmet


© schneewanderer


vorkehrungen




jeden abend
die amsel
auf dem dach
gegenüber

laut ist sie
dieses eine
mal noch

als wollte sie
locken den tag

komm
laß uns finden
einen baum
einen ast
einen zweig

dort wo wir
noch einmal
singen werden
dem licht


© schneewanderer


möchte gern




reden mit
meinen großvätern

sie
ihre töchter
und söhne
sonntags
zum kaffee holen

eigentlich
alle sonntage

alle die sehen
wie ich mich
erinnere

alle die nichts mehr
sagen können

und ich ihnen
dennoch zuhöre


© schneewanderer


april




den meisen zusehen
wie sie das jahr nähren
bis hinein in den sommer

bis es fliegen kann
bis wir es herbst nennen

bis dahin
wo wir selbst
ins leere greifen

erinnern wir uns
wie es war damals
wie wir waren
mit flug und feder


© schneewanderer


nachdruck




als ob es sich
leichter verlieren würde
dies leben
ohne das schreiben

wahrscheinlicher aber
das schreiben
damit wir uns
leichter finden
im leben


© schneewanderer


fälle




komm weiter
komm näher
komm zu dir

sei du
sei ich
sei wir

keine regel
der wir
unterliegen


© schneewanderer


fortschrift




das war ich
das kind
mit der kreidetafel
schüchtern
im ersten jahr
des lernens

weiter bin ich
nie gekommen
bis hier

bis ins wort
das immer
nur noch
ich entziffern kann


© schneewanderer


schauen XIII




am abend
die sonne
gehen sehen

manchmal ist
sie alt
langsam
müde

manchmal ist
sie kind
schnell
ungeduldig

jeden abend
sehen wir uns
ankommen
gehen


© schneewanderer


erwiderungsversuch




müde geworden
die sprache
legt sie sich
in deinen garten
unter die ewigen bäume

treibt gedichte
in die hoffnungsvolle rinde
vertraut auf dich

vertraut daß du
hand legst
an wort
und wachsen

gewidmet
reiner kunze


© schneewanderer


gedichte




unteilbare
zu teilende
hoffnung
auf ein ende
des schweigens


© schneewanderer


efeu



immerwährendes haus
zwischen den häusern
er hält den zaun
hält die welt
im grün

heute sah ich
die amsel
das bett bereiten
für kommende besitzer


© schneewanderer


schauen XII




nach dir
rufe ich
komm
siehe
die wolken
das licht
wie es spielt
mit ihnen

verschiedene
die sich
gleichen
wie wir


© schneewanderer


mutterland




erst danach
sprache
musik
schreiben

auch in
dieser erde
gedieh ich

aber nie mehr
wünsche ich
mich zurück
in dies
behütete
schweigen


© schneewanderer


fast neid




wegen diesem
einen wort
daß du
nicht schreibst
sondern sagst

wegen der
vielen wörter
die ich schrieb
wo ich nicht
besser hätte
sprechen können

aber uns gleich
uns eigen
die sprache

die eigene
die fremde


© schneewanderer


nach dem genozid




achten
und
schlachten
trennte nur
die falsche grammatik

das wort mensch
blieb unaussprechlich
in so vielen sprachen


© schneewanderer


gartengrund




das hier sein
das da sein
hätte es
keinen anderen grund
dies wäre einer:

die taube zu sehen
wie sie das wort
frühling ins
grün flügelt


© schneewanderer


schauen X




fast könnte
es enden
an diesem morgen
dieses schauen
alles schauen

als ginge sie
nur dieses
eine mal
ihren weg

als gäbe es
die sonne
nur in dieser
einen stunde

aber der morgen
sind noch viele

und alles
erzählen
wird erzählen
von ihr


© schneewanderer


schauen IX




die gleiche erde
der selbe himmel

einer von uns
könnte die
augen schließen

er würde
immer noch sehen
diese eine erde
diesen einen himmel


© schneewanderer


wegkunft




es genügt
mein einer finger

der über die
blasser werdenden
bilder streicht

keiner ging
kein lachen
hat ihn je
geschlafen
diesen langen schlaf

keine träne
hat ihn je gestört

werde ich müde
vom erinnern
in irgendeinem sommer
lege ich mich
neben euch

einem sommer
wie er immer war
mit euch


© schneewanderer


7. märz 2010




schnee
noch immer
auf den vielen
toten bäumen

als ob auf
diese art
einer um
sie trauert

ihm folgten wir
hin zu den
wunden
offenen
flächen

bis zu den
zweigen
der mistel
bis hinein
in diesen
späten trost


© schneewanderer


atem




sie schreiben
gedichte?
ja
kann man
davon leben?
nein

aber atmen
davon
durch sie

um einzutauchen
in dies andere leben


© schneewanderer


mutfassung




wer wären wir
wie wären wir
ohne den anderen?

zerbrochene hälften
eines gefässes
in dem sich
nichts mehr sammelt

mit kanten so scharf
daß das leben
sich daran
dauerhaft verletzt


© schneewanderer


8. August 2010

burg guttenberg am neckar




im schatten
von so vielem
von burg
und kappelle
selbst den neckar
sieht sie nicht mehr

den rosenstock
lange gepflanzt
nach ihr
vor ein
anderes grab

du weinst
um sie
um ihr kind

hilflos wie ich
vor der zeit
vor ihren schatten


sopie von der lühe
geborene freyin von gemmingen-guttenberg
geboren den 31.märz 1860
gestorben den 12. märz 1881

hedwig von der lühe
geboren den 22. februar 1881
gestorben den 11. märz 1881


© schneewanderer


geranien




ich trug sie
auf den ahnungslosen
schultern der kindheit

als wären
alle fenster
zu groß geraten
mußten sie
die sonne teilen
mit ihnen

kübelweise
barg ich sie
vor dem frost
ins dunkle

blüht heute
das erinnern
nie weiß ich
welchen duft
es hat

den nach licht
den nach schatten

und die ich
fragen könnte
sind längst verblüht


© schneewanderer


der fuchsturm in jena




hat er ihnen
je geleuchtet
den fischern
auf der saale?

mich treibt er
dem schlaf
in die netze

hier unterm
dachfenster
in sternklaren nächten
hier am
anderen ufer
der geschichte


© schneewanderer


ermunterung




immer finde
ich dich
träumend
vor mir

dann zögere ich
dir zu sagen
daß ich gehen muß

ruhiger macht
mich nur
daß ich weiß
du träumst
nach mir

wirst wach
von den
träumen
von mir


© schneewanderer


mahnung im februar




als könnte
er bleiben
könnte hindern
das jahr
den kreis
zu vollenden

sei klug winter
nimm deine
farbe zurück

keine der anderen
haben wir vergessen


© schneewanderer


wartezimmer




wenn das hier
das nun
und heute hier
was uns
beim namen nennt

wenn das hier
nur eine türe wäre
eine von vielen

türen die wir öffnen
türen die wir schließen

wir würden
nichts anderes tun
wir würden
nichts besseres tun

als türen zu schließen
als türen zu öffnen


mit einem danke an ET*
für die inspiration


© schneewanderer


stammbuch




vor mir viele
nach mir keiner
blühender zweig
am toten baum


© schneewanderer


12. februar




der himmel
blutet
in weich
und weiß

er wird
mir heute
die stelle
zeigen
wo ich
einen engel
in seine
wunde
legen kann


© schneewanderer


traudel II




ein wenig schnee
bedeckt dich
vieles an erinnern

du würdest
deine freude haben
an der kleinsten:
ja die freche blonde
von der dir
vater immer erzählt
am grab

schlafe noch
unbesorgt

sie weckt dich
früh genug

meiner mutter
meiner nichte


© schneewanderer


scheu




tieren gleich
der drang
nach höhlen
dem nach
verstecken

scheu geworden
auf dieser langen
reise seither

das wissen
um das zweite

dem fliehen
vor dem
fliehen


© schneewanderer


ausweg



wohin
wollte ich
noch wollen
außer zu dir?

keinen namen
spreche ich
leichter aus
bei keinem anderen
fällt es leichter
zu schweigen

hast mich
ärmer gemacht
um diese eine frage
um so viele
antworten reicher


© schneewanderer

deine hand




alles stehen lassen
wie es ist
wie es nicht
sein sollte

wenn sich der
frühling ein
herz nimmt
nehme ich dich
hin zu
irgendwelchen
bäumen
von denen du
geträumt hast

es werden
die gleichen sein
es werden
andere sein

sie tragen den himmel
sie halten die erde

zwei darunter
die sind
uns ähnlich


© schneewanderer


schauen VII




immer noch
die eiszapfen
im haselstrauch

immer noch
das kind
der erste weg
der zum fenster

wer könnte
sie nehmen
die spuren
in denen
ich gehe?

diese immer
zu großen
in denen
ich mich
wieder finde


© schneewanderer


gedichte erklären




als ob mich
so das träumen
einholen will
weil ich es
versäumte
wo es leicht
gewesen wäre

so ertaste ich
die welt bei tage
mit weit
geschlossenen augen

nie war es leichter
dies verirren


© schneewanderer


auepark XXXI




nur du
darfst dich
erinnern nennen
kehrt sich die zeit

nicht die stadt
die nach dir greift
immer noch
als hätte sie
nie begriffen

wie wund
herzen sind
ohne baum
und erinnern


© schneewanderer


schauen V




bedauernswerte reste
von schnee

verhalten
der mond

weit hinten
eine grenze
wald

da möchte
ich sein
vor tag

beim übergang
zeige ich vor
meine rissigen hände

ja
verwandte
will ich besuchen

bruder
und
schwester


© schneewanderer


vorausschauend




am ende
wieder wir
was wir waren
in unserem leben

betroffene seit wir
übers wasser gingen

uns trafen
einigen gesetzen
zu widersprechen


© schneewanderer


grammatik - sechs jahre vor dem wählen dürfen




warum das alles?

damit sie nie
aufhören
die fragen

mer werden
fiel mer

entschuldige
den sonntagvormittag
fern aller freiheiten
außer der
keine andere
wahl zu haben


© schneewanderer


schauen IV




du
eine helle
linie
gegen das
dunkel

arme
mund
loslassen

zwei stunden später
deine stimme am telefon

die
nach
armen
mund
ankommen


© schneewanderer


von der ewigkeit




ein tropfen wasser
in diesem meer
an dessen stränden
wir ertrinken werden


© schneewanderer


tiefenbach XIII




kannst du
sie aushalten
die nächte
unterm frost?

sag schnell ja
bevor er es sich
anders überlegt

zum wasser
bringe ich dich
zum kalten

und deine füße
werden leicht
und leichter
überm eis

mich aber
lasse zurück
dieses eine mal

einer wie ich
dem die erde
immer schon
sicherer erschien
als dieses
schweben
ohne flügel


© schneewanderer


wie schnee




wollte schreiben
daß ich deine
spuren sah
im weiß
des morgens

daß ich
seit heute
weiß
wo die
amsel schläft
im garten

wollte soviel
schreiben
vor lauter schnee

aber wir
kamen überein
es zu belassen
beim diesem weiß
auf erde
und papier


© schneewanderer


27. Juli 2010

schauen III




das jahr
das alte
es wäscht
sein haar
vor dem
gehen

die wolken
die grauen
sein kamm

ein
trockenes
tuch
mein
wunsch

für den
der geht
für den
der kommt


© schneewanderer


schauen II




in die nacht
auf eine lampe
unter der
gelesen wird

auf die dächer
weiß vom frost


bin froh
über meine
ungeduld
den tag endlich
sehen zu können

zu schreiben
statt
zu lesen

vielleicht darum
das wachsein
um dir
von all dem
erzählen zu können


© schneewanderer


strümpfe




keinen habe
ich mehr
zu viele
weihnachten
seither

meine großmutter
schenkte jedem ein paar

seit langem
schon wieder
kalte füße
übers jahr

aber ich sehe
sie immer noch
stricken
um dann im sessel
einzunicken


© schneewanderer


ortswahl




hier werde ich alt
unter uns
neben dir

kein anderer ort
der mir gefiel

hier darf ich fallen
dir ins wort
neben dich
unter uns


© schneewanderer


dezember, der zwanzigste




kälte schneidet
tief in dich
das morgenrot

hellblau
deine
wunde
tag

dort hinein
verlor sich
dieses gedicht


© schneewanderer


schauen




eigentlich ist es zu früh
zum schauen

nur mäßig bin ich irritiert
vom hoffnungsvoll
leuchtenden weihnachtsschmuck
in den fenstern

weit hinter
den letzten häusern
ähnelt die straße
einem verirrten glühwurm

beruhigend zu wissen
daß keiner diesem moment
etwas antun kann

außer mir
und meinen
ersten beiden
sätzen die ich
heute sprechen werde:

ich muß los
ich liebe dich


© schneewanderer


abschied/einer/keiner




wirst du träumen
in der letzten nacht hier?

vom garten
dem schnee
dem ihm der
hagel brachte
mitten im sommer?

oder von den
tanzenden mardern
oben auf dem dachboden?

unendlich viel
steht dir bevor
zu träumen davon

vielleicht das erste
vielleicht das schönste

aus allem
wird alles werden
traum und gelebtes


© schneewanderer


das eine ankommen




ein leichtes ist es
nach all dem schweren

hier werden
wir bleiben
unter uns

in diesen leben
von denen keines
mehr ganz
dem einen
noch gehört

aber davon
können wir lieben


© schneewanderer


der eine abschied




wir finden sie wieder
diese heimat auf zeit
die weinberge
die wälder

immer wirst du
die kirchenglocken hören
so wie ich sie höre gerade
beim schreiben


wir finden uns wieder
vor einem anderen
feuer sitzend:
wir, die wir fortgehen
hin zu uns


© schneewanderer


im regenbogen




das heute ist keine farbe mehr
gestern schimmert durch alles
ein langer weg zurück den ihr geht

wollen wir ihn begreifen
bleibt er uns verwehrt


bei der hand nehmen
diese leben
diese wundervollen
gelebten leben

ein stück mitgehen
um selbst zu begreifen

für dani


im haus regenbogen werden demenzkranke
alte menschen betreut - auch von meiner schwester


© schneewanderer


heldenhaft




wenn der mut
den verstand
einsperrt

solange
bis keiner
von beiden
mehr gebraucht wird


© schneewanderer


warst du es jahr?




mich ungefragt
älter gemacht
klüger um ein wenig
um einiges ärmer

warst voller lärm
am anfang
hast dich gewehrt
neu zu sein
voller hoffnung

bist leiser geworden
kaum mehr auszumachen
in diesen wenigen tagen
die dir noch bleiben
aber jede stunde
war unsere


© schneewanderer


dahin wo sommer war




kehren wir nie mehr zurück
nicht unter diese eine sonne
nicht in diese leichten tage

schwerer das licht
bis es fehlt

aber dann liegt
das erinnern
neben uns
keinem halm
das grün krümmend

all die tage
da der sommer
noch nicht wußte
warum wir ihn begehrten


und wir zu scheu
es ihm zu sagen


© schneewanderer


amsel




noch immer
bist du da
aufgeregt
ein auf
vom kopf
ein ab
bis zur
schwanzfeder

sei unbesorgt
die katze
ist ermahnt
den frost
bat ich
zu warten

einen apfel
lege ich ins gras
dahin wo sommer war


© schneewanderer


vom schreiben




dieser herzschlag nur
läßt es zittern
macht es ruhiger

selten
sind wir
uns näher
weiter entfernen
wir uns nicht
als um dieses maß
an besser nicht gesagtem


© schneewanderer


auf der ravensburg bei sulzfeld




nie reichen
die augen
meine
unsere
bis hinter
alle hügel

der eine
bleibt verborgen

wäre es
der letzte
immer und
immer wieder
müßte ich
ihn suchen

aber es ist
der erste

nimmt an die hand
seine brüder
ist unterwegs zu mir


© schneewanderer


im watt III




mit leuchtenden augen
zeigst du mir die auster
in deinen händen


das wasser
kommt zurück
laß uns gehen

laß uns warten
bis es da ist

die zeit
ein lebendiges
wesen

wir sollten sie
zurückbringen

dahin
wo sie
uns fand


© schneewanderer


glückliche kindheit




alle fragen
in frage stellen
alle antworten

groß werden dabei
nie erwachsen


© schneewanderer


schloß lütestburg/ostfriesland im herbst




verwaist alle wege
den bäumen gleich
nehmen die gräber
geduldig die
jahreszeiten hin

was bliebe uns übrig
als es den scheuen
enten nach zu tun?

aufzuschrecken
berührt ein
totes blatt
die wasser


© schneewanderer


im watt




käme sie
wider erwarten
unerwartet
die flut

was würden
wir tun
weit draußen
wo kein meer mehr
wo kein land mehr?

meer werden
sein kleinster
tropfen

verläßlicher grund
für die ewigkeit


© schneewanderer


ewiges meer / ostfriesland




getränkt in schwarz
erde und wasser

unsteter wind
zwischen den
mühsamen bäumen

vermeintlich sicher
unser schritt
ähnlich diesem
himmel aus blau

aber den möchte
ich zeigen
den kleinen birken

schaut hin
diesen weg
dürft ihr gehen


© schneewanderer


dornum - st. bartholomäuskirche




der erde weniger
vertrauend als
dem wind
schenkte man
dem glockenturm
füße anstatt höhe



vor augen nun
was sonst ewig
ausgesetzt dem wind



vor der buche
- bäume werden
herrlich im alter -
die alten grabkreuze
aus metall

einfarbig sind sie
geworden die zeichen:
die des lebendigen
die des verschwindens

ein grün
unüberhörbar
bis hinein in meinen
stummen blick


© schneewanderer


dornumersiel - am fenster stehend




die krähen gegenüber
schwarzer schlußpunkt
im roten klinker

mit sonst nichts
teile ich den horizont

außer mit ihnen
und den möwen

die inseln

sandig
vorgelagert

ahne ich nur


© schneewanderer


wir sind




sterbliche
alltägliches

unser leben
alle tage

weil wir
wir sind


© schneewanderer


floß




beides ist möglich
halt finden
halt verlieren

meer sein
sein wasser
seine sonne

nachts kommen
die fische hervor
aus den tiefen

uns zu sehen
während wir
schlafen

was sich da verirrte
auf zerbrechlichem

für die bärin


© schneewanderer


oboe - fagott - gedicht




dieser eine fehler
immer wieder

in jedem ton
in jedem wort

angewiesen sein
auf dieses hören
zwischen jedem ton
zwischen jedem wort

ewiger makel
dauernder grund
zu schreiben
zu schweigen
zu hören


© schneewanderer


halten wollen




warst nicht bereit
zu gehen
irgendeiner
bat dich darum

einer ohne farben
einer mit der
einen nur

wenn ich
dein laub
sammle
kommst du
wieder herbst?

bis dahin schlafe
unter laken
die das jahr
dir bereitet


© schneewanderer


oktoberbitte




bleibt doch ihr sterne
wäret hilfe bei tag

müßte nicht
schauen
und
schauen
nach eurem
verschwinden

aber ich kann
nicht halten
eure kalten
klaren hände

und anstatt
den himmel
zu bemühen
schreibe ich
euch unterm frost


© schneewanderer


bremsweg XIV




einen
sah ich lebend
einen
sah ich tot

nur zeit trennt euch
vergangene
bevorstehende

zeit die mir bleibt
zu schreiben
über euch einjährige

alle zeit vor euch
alle zeit nach euch

darüber wächst mir fell
hellbraunes fell
daß mich nicht friert
in dieser zeit


© schneewanderer


seßhaft




mir diese stunde vorstellen
dich hat der schlaf
noch einmal gefunden

wie gut ihr
zueinander paßt

drehst du dich um
bin ich da

sicher wie der tag

in seinem kommen
seinem gehen


© schneewanderer


bremsweg XIII




kann dir nicht folgen
keinem von euch

schon sicher

welch falsches
wort zur natur

schaust du dich
noch einmal um
mein grauer
alter fuchs

ja - ich schon wieder


einer der sieht
weil er gesehen wird


© schneewanderer


im apfelbaum




(in jena - am tag der deutschen einheit 2009)

die saale sah er nie
einzig den blick
auf dächer und fuchsturm
teilen sich
mensch und baum

als ich die leiter
an ihn lege
der gedanke:

vor zwanzig jahren
reifte die scham
bis ins rot
bis sie fiel
die faule frucht

um diese eine spur behutsamer
trenne ich nun apfel vom baum


© schneewanderer