22. August 2008

frevel




unangenehme gerüche
gebracht in die stadt
zwischen zwei wohnblocks
am späten samstagmittag

buche und eiche
die vier jahre
sich gedulden mußten
feuer zu werden

ein glück
daß die kinder
schon weg waren
als die polizei kam

wie man ihnen
das feuer erklärt
seinen zauber?

man lädt sie ein dazu
und hofft daß ihre nasen
nie erwachsen werden
nie zu dumm
nie zu blind


© schneewanderer


woher sie kommt die liebe




von dem
was zwischen uns liegt
hat nichts mehr platz
zwischen uns

von dem
was vor uns liegt
an zeit und traum

von dem was an uns liegt
von dir - von mir


© schneewanderer


falle




nichts was ich
mitgebracht hätte
damals im september
nichts wovon die rede wäre:

den sommer noch im ohr
deine stimme die ihm glich

nichts außer
diesem wissen
um viele sommer
einer ewigkeit


© schneewanderer


baum im feuer




jährig
seine sprache
mit resten von sommer
am mund der geduld

einmal noch
höre ich
sein wachsen
obwohl es endete
lange vor diesem
kalten morgen


© schneewanderer


auepark XII




in den pfützen
laichte der sturm
federn und buntes
schnäbeln in ihnen
nach dem grund
der gewalten
tiefer und tiefer
und finden ihn nie


© schneewanderer


moment




es geht
nutella auf banane
und tischdecke zu plazieren
morgens während ich ihm
erkläre daß nintendo nicht
der anfang der welt ist
nicht ihr ende

er wird es vergessen irgendwann
unser gespräch in der küche
zehn minuten bevor ihn
die straßenbahn in die schule brachte

irgendwann
hat sich die welt
ihm erklärt


© schneewanderer


eine rede




früh wach sein
immer früher als du

hinaus treten
zwischen den
baumkronen
den mond sehen

eintreten
und dich sehen

zwischen baum
zwischen mond

in mir



© schneewanderer


grand mal




tief gefallen
nicht tief genug

leichtes liegen
war es
als es lag
dies leben

in der hand
die sich
nicht schloß


© schneewanderer


langhurst VI




ein sommertag
sonntags

zwei kinder
drei und anderthalb jahre alt
spielen vor einer riesigen straßenwalze

damals wurde
acker an acker gereiht
mais an wald
gehen lernen an gehen müssen

flurbereinigung 1964
steht auf der rückseite
des alten fotos

ein paar jahre nur noch
dann habe ich
eine kleine schwester
keinen großvater mehr

und dieses bild gefunden


© schneewanderer


unser fuchs




nichts
trägt er
im maul

keine furcht
keine schuld
kein gestern

keine nacht
kein dunkel

er trägt uns
zu den orten
in uns


© schneewanderer


weitblick




den mond
möchte ich schauen
für dich

an dem morgen
an dem er
nicht zu sehen ist

sehe ich
doch dich
jeden morgen

an dem du
nicht zu sehen bist


© schneewanderer


notrede




gib mir
deinen tag
ohne mich

ich gebe dir
meinen ohne dich

es ist
eine stunde dann


© schneewanderer


verlangen




strecke dich holunder
mit deinen armen
aus kommendem

solange bis
deine hände sich legen
an das gesicht des sommers

deine fingerspitzen
dem himmel
ein lächeln abgewinnen

© schneewanderer


unsere rede




die gleiche sprache
gleitet dir deine decke
von der schulter

erwähnt es der schlaf
im nebensatz
als hauptsache

wärme sie
bedecke sie
diese schulter

diese eine schulter


© schneewanderer


fels ohne namen




zeit machte ihn
zeit verbarg ihn

gräser und moose
sein rücken

zu liegen auf ihm
in einem sommer
der längst vergangen
der immer sein wird


© schneewanderer


erste rede




auch dies
ein morgen
einer der unseren

morgen wird aus ihm
immer und immer wieder

sprechen wir auch
von heute
von gestern

an diesem morgen


© schneewanderer


auepark XI




absehbar auch ihr verschwinden
sei ihre rinde auch noch so weich

ihr alter, ihr altwerden
unvorstellbar für einen
der die hand an sie legt
klein und kleiner wird dabei

maßstab für so vieles
die jungen mammutbäume
in meinem alter


© schneewanderer


erklärungsversuch




die zeitweilige abwesenheit
aus diversen alltagen
sie bedürfte keiner erklärung

einem zehnjährigen jungen
das großes taschenmesser
mit dem nußbaumgriff anvertrauen
den haselnußzweig gleich dazu

ihn brennholz sammeln
lassen im schneegestöber
für das feuer an dem er sich
seine hände wärmen wird

seiner mutter das lächeln entlocken
wenn sie all das sieht
sich erwärmt am sehen

all dies bräuchte keine erkärung
gelegentlich aber möchte ich wissen
woher mein lächeln kommt


© schneewanderer


möglichkeit




könnten steine schlafen
schliefe ich wie einer
neben dir

aber sie wachen
rund und glatt und klein

legen sich in unsere hände
auf daß wir meinen
es könnten hände sein

wach und weich und warm


© schneewanderer


bremsweg




ein fuchs
eine taube im maul

die nacht
in den tag tragend

hell wird er sein
mit einem blutigen faden rot
in dem einen winkel des himmels


© schneewanderer


raureif V




bis zu den kleinen weiden
die stämme gezerrt
vom wald zum wasser

nackt und naß
liegen sie
vor meinen augen
in deinen

unser blick reicht zurück
bis an die wurzeln


© schneewanderer


kalenderblatt




unleserlich
geworden
die wochen

meine augen
sagen stunden
bis zu dir

deinen augen
unseren tagen


© schneewanderer


auepark V




vier krähen
sichern
gegen den winter
mit schnäbeln
aus neid

jahr fraß tag
monat das blatt

stille kommt nieder
unter den gebirgen
aus laub


© schneewanderer


auepark VIII




verhaltene reste von eis
auf den kanälen

dieses maß an vergänglichkeit
nehme ich wahr als angenehm

anders das wissen
um einen der letzten gänge
über die brücken
um die empfindliche schicht
aus erinnerungen

in diesem letzten winter
vor dem vergessen


© schneewanderer


im schlaf




nicht
daß ich selbst fror
unter dem neuen mond
unter den fragen
den alten

aber
deine schulter
war eine
schmale, kühle sichel
die ich bedeckte
mit einem arm voll zartem


© schneewanderer


Raureif III




wohin gehen
wenn nicht
an den anfang

dahin wo
der mensch
seinen ersten
schritt setzte

an den rand
der zeit
an die grenze
zwischen
erde und wasser

dahin
wo sich
tiere
versammeln
morgens

scheu
durstig
wachsam

und doch
voller vertrauen

in die erde
in das wasser
in die zeit

hier
an diesem
weiher
am sechsten tag
des jahres


© schneewanderer


Raureif II




eis trug uns
am ersten tag

das behutsame rot
der baumspitzen
nahe beim ufer

am zweiten tag
gingen wir verloren
da nichts uns trug

außer licht
außer wasser

außer uns



© schneewanderer


Edgar




der erste Mensch
der mir einen
silbernen Fisch
in die Hände legte

vorher wohl
oft genug
eingeschlafen
auf seinem Bauch
seiner Brust
die schon lange
die gleiche Farbe hat

der erste Mensch
der mich lehrte
Feuer zu entfachen

den Bäumen vorstellte

der erste Mensch
der meine Mutter
Frau nannte

der erste Mensch
der neben ihr
liegen wird
gleitet sein
glänzendes Leben
ihm aus den Händen



© schneewanderer