26. Dezember 2018

geschenk




ein strauß krähen
gebunden
am morgen
durch ihn

mein danke
über dem raureif
verschmähen sie


© schneewanderer



15. Dezember 2018

worthalter




immer nur fast
zärtlich
vertraut
diese umarmung

keiner will
den anderen
los lassen

jeder geht wieder
in die gleiche richtung


© schneewanderer



5. Dezember 2018

rabentag




regen
wind
um
wieviel
schwerer
euer flug
durch sie?

egal
morgen
hole ich
die schwarzen flügel
aus dem schrank

folge euch
verliere euch
immer noch
nach so vielen
versuchen


© schneewanderer



15. November 2018

phillipsburg




hinter dem
letzen dach
in sicherheit
oder nicht

unter dem
letzen dach
nie sicher

leuchtende gräber

sie wärmen
sie warnen

der rhein
schläft unruhiger
seit dem menschen


© schneewanderer



20. Oktober 2018

danach




staub
nur
staub
der bleibt
hartnäckiger
als jede
erinnerung
jedes wort
jedes bild
aber da war
ein tanz
eine widmung
eine stimme
wir menschen
die all dem
widersprachen

vernissage rathaus schutterwald 05.10.18


© schneewanderer



30. September 2018

strömung




irgendwo
ist greifbares
unabwendbar
unvermeidlich
dorthin treibt
es mich
die paar
paar
worte
zu verlieren
in denen ich
ertrinken werde


© schneewanderer



15. September 2018

redewendung




guten morgen
alles gute
die besten wünsche
viel glück

die paar jahre noch
es wird nicht mehr
eingeschlafen


© schneewanderer



2. September 2018

fehlende landschaft




kein mond
kein licht
keine erde
keine nacht

nun liegt
es an mir
linien
zu ziehen
die schatten
werfen
auf alles
verzichtbare


© schneewanderer



kurschatten




nur diese
zwei ohren
im gepäck
nach drei tagen
waren sie verbraucht

hier sah ich
klagemauern wachsen
zwischen ergometertraining
und ernährungspyramide

mit mörtel aus neid
der zunge als kelle
nie wurde er müde
dieser schatten
712 meter
über meereshöhe


© schneewanderer



1. September 2018

monolog




alles ist heilbar
sogar der
glaube daran


© schneewanderer



sommertod




wie war dein name?

ein regentag auf
der schwelle
in die nächsten farben
und schon fällt es
schwer das erinnern

sag du mir
ob ich trauern soll
traue du mir
was ich antworten werde


© schneewanderer



29. August 2018

erklärung




zwischen zwei kliniken
vergräbt
gott
als eichhörnchen
verkleidet
seine wunder

nach manchen
sucht er vergeblich
einige will er
nie wieder fnden

so wenige
werden baum


© schneewanderer



anwendung




einmal nur
den zeigefinger
nicht erheben
wider allem besseren

aber keiner
der sich findet
sein kürzel zu setzen
hinter schwäche


© schneewanderer



18. August 2018

bad dürrheim - im regen




längst unter
einem anderen
himmel
das unscheue lerchenpaar
von heute morgen

anstatt ihrer
heiße ich
den regen willkommen
statte ihn aus
mit allen guten
eigenschaften

aber er vertraut mir nicht
diesem wesen ohne flügel
mächtig nur
der sehnsucht nach ihnen


© schneewanderer



6. August 2018

kehrtwende





neugierig
ich nun
auf jeden
kleinen buchstaben
das ungeschriebene

endlich
nehme ich
dich beim wort
wort


© schneewanderer


25. Juli 2018

bescheidenheit




tage nach sommer
endlich blüht
der topinambur
gelegentlich
die ameisen
beneiden
in ihrem tun

heute
lege ich ab
alles verlangen
trotze der zeit
und vergehe


© schneewanderer



5. Juli 2018

kriegsende




nichts half mehr, nicht das heraus gezerrte ortschild: letzte hoffnung zweier schuljungen den feind in die irre zu führen.
nicht die mit leichter hand erschossenen russen.

der mit rassenschande belegte französische zwangsarbeiter kam zurück, sah zum ersten mal seine tochter.
dieses mal mit einem sherman als kinderwagen. mein großvater spielte cego in der dorfwirtschaft, spielte zu ende
gewann die runde und den frieden. mit ihm am tisch lehrer k, ging er durchs dorf brachte er die todesmeldung.
schachspieler und einer der leise dagegen hielt. man schlug ihn tot im internierungslager, denunzitation als späte rache.

mein vater nicht mehr hase, nicht mehr den blick nach oben wer da mit weißem stern auf dem rumpf auf ihn anlegt.
die äcker waren die gleichen geblieben, die mühsal auf ihnen. 


© schneewanderer


3. Juli 2018

frau h.




nun brauchen wir beide
den pausengong nicht mehr

unwichtig

aufbegehren
strenge
lehrplan

wichtig

gast gewesen
in ihrem haus
unser lachen
vier jahrzehnte
nach dem abschlußzeugnis


© schneewanderer



27. Juni 2018

spätes glück




endlich

die krankheit
halb geschenkt
halb mühevoll
erworben

immer

dieser atem
an den ich
worte binde
ihnen nachblicke
bis sie blau werden
wolke
himmel


© schneewanderer



sonnenblume




nun bin ich es
wahrheit
zu mischen in
das wasser
an deine wurzel


die dich
umschwirren
ermuntern

einer wird
den anfang wagen
seinen schnabel
schicken
auf die reise
in dein herz


© schneewanderer



rast




die stille nehmen
sei es auch nur ein
teil davon
sie in die eigenen
hände legen
dieses eine mal nur glauben

es hat ein ende
irgendetwas beginnt


© schneewanderer



vorschau




bald
gelebtes leben
ein paar mal
geschenktes

noch kann ich
fragen stellen

die antworten

das taufbecken
an silvester
eiskalt

die toten
besetzen meine
träume wieder
weichen nicht
von meinem land


© schneewanderer



riga




nein ich war nie dort
werde es aber immer behaupten
das konzert in der kirche
das knoblauchbier vorher
woher dieser mut?

du hast mich mitgenommen
mit deinen augen sehen lassen
auch dies eine art von reisen
der liebe


© schneewanderer



11. Juni 2018

ein stück morgen




die hitze schon ahnbar
mit aller deutlichkeit
mit jeder pore
zeigt sich der weg auf
unter den apfelbaum

unter dem leichtsinnigen grün
wird jede grenze verschwinden
ankunft und abschied
wachsen am selben ast

noch
legt keiner hand an
den sommer zu hindern


© schneewanderer



3. Juni 2018

tierliebe




zwischen
mähen
und
mast
liegt
nur
ein
fördergeld


© schneewanderer



kassensturz




lederhose
(schlecht imitiert)
haargel
und die bildzeitung
vor mir in der schlange
ein nachbar
der seine hecke
bis auf den
millimeter
diszipliniert

mann hat es
zu etwas gebracht
nur nie weit genug
ihn zu grüßen


© schneewanderer



16. Mai 2018

flaggen




als reiche
eine nicht
am mast
schatten
zu werfen
aufs land

drei
wehen
für
unsicherheit
ohne jeden
wind


© schneewanderer



maispatzen




erste ihr
die lautesten
jede feder
eine note
und immer
morgens
und immer
öfter
vermisse ich
den dirigenten


© schneewanderer


24. April 2018

nachzügler




die höchste lebenswerwartung
hier in deinem garten
der löwenzahn

der messer sind genug
den frühling
kurz zu halten


© schneewanderer



flagge





nein
du bist nicht
angekommen

ein mast im garten
schwarz-rot-gold
weit über
den gartenzwergen

nein
heimat
fängt
irgendwo
anders
an



© schneewanderer



3. April 2018

specht




auch dir
der garten
die gabe
mich ins staunen
zu versetzen

komm wieder
irgend wann
bis dahin
treibe ich
wurzeln
werde alt
bin gestorben

aber deine farben
hacken mir
ein lächeln
in die rinde
dann


© schneewanderer



wortbruch III




guten morgen wort
wird es unser tag?

wird einer
den anderen
vermissen
während wir
schweigen?

bleiben wir uns fremd
wie immer
bis eine fingerspitze
die andere berührt


© schneewanderer



29. März 2018

kein wunder




nach über vierzig jahren fragten sie ihn noch einmal: glauben sie an wunder?
wieder dieser starrsinn, dieser enge und einsame blick auf die wahrheit als antwort.

gegenüber wirkte einer, verwirkte diese wahrheit. obwohl sie an ihn glaubten, wie ertrinkende - schon lange ans ufer gespült.
er wurde heiler genannt, am wochenende spuckten die busse seine jünger zu dutzenden aus. nein, kein spuk. der uriniert nicht
in die vorgärten, kotet nicht in die beete. wir nachbarskinder durften entsorgen was übrig blieb vom traum, was ihm voraus ging.

lange danach war einer auf der suche nach seinem vater: lächelte mindestens einmal zuviel als von ihm berichtet wurde.
vielleicht weil er ihn nie kannte, vielleicht weil dieses lächeln den blick ersparte: den genauen, den klaren.

mit dreizehn hat man diesen blick noch, ich war dreizehn damals.
sah ihn davon rennen den heiler durch den garten meiner großmutter.
sah die todkranken kinder vorher, die alten und die jungen.

mein vater lief nicht davon, mußte nie nach ihm suchen.
darum mein lächeln über wunder, mein zorn darüber.


Mensch Leute
Mein Vater, der Wunderheiler
Sendung des SWR vom 26.03.2018


© schneewanderer



21. März 2018

wortbruch II




hart gelegentlich
was da fällt
an worten

vielleicht
verletzt du dich
an ihnen

vielleicht
nimmst du sie
in die hand

glättest sie rund
bis sich der
staub des vergessens
gelegt hat


© schneewanderer



10. Februar 2018

glaubensfrage




der winter:
warte
der frühling:
mach platz

in beider
klingelbeutel
fällt
meine
münze


© schneewanderer



9. Februar 2018

brandstifter




das fazit am ende des tages: ein gebrochenes handgelenk, ein mittelmäßig versohlter hosenboden - und ein kleines feuer zwischen
den erdhügeln beim neubau der kirche. er steht immer noch dieser überaus häßliche sakrale betonklotz, trotz der versuche seinen
bau wenigstens aufzuhalten.

für alle details reicht meine erinnerung nicht mehr. vordergründig nur dieses unbändige verlangen nach der schule dort zu spielen.
irgendwann war die verlockung zu groß in den offenen bauwagen zu steigen und die blaupläne zu dieben. nicht einmal meine gier
etwas dem feuer anzuvertrauen, aber auch meine kinderaugen sahen gerne in die flammen.

diese mitläuferschaft bezahlte ich nach einem wenig eleganten abstieg von einem der kindheitsberge mit einem gebrochenen
handgelenk. zuhause mit einer peinlichen befragung die so unbefriedigend ausfiel daß die antwort mit der flachen hand nicht lange
auf sich warten ließ. erst danach ab ins krankenhaus und allgemeines bedauern - mein vater war der erste.

verraten hatte ich ihn nie den wahren übeltäter. solidarität will wohl beginnen mit dem schmerz.

© schneewanderer



dichter lohn




sechs eier
dieses mal
mußte ich
sie nicht stehlen
dieses erinnern
in der küche
auf der schwelle
zum vergessen

von den toten
hatte ich zu berichten
von uns
an irgendeiner
grenze


© schneewanderer



fehlzeiten




diese morgen
wenn deine
hand mich sucht

verzeih
meine abwesenheit

bei den worten bin ich

ewige wärme
die ich zu teilen wage


© schneewanderer



14. Januar 2018

gabe




rot
zetert
die amsel

ins grün

als wüßte sie
um den apfel

der stille
flügel
zu verleihen


© schneewanderer



brief an john III




ja mac - er ist es.
nicht mehr so flink wie damals auf der dorfstraße als er dich das letzte mal in den winterwolken sah.
welten die euch trennten. himmel und erde. freund und feind.

nach dir hat er noch viele tote gesehen, alle hatte einen namen - die fähigkeit vergessen zu werden.
um diese eigenschaft hast du dich gebracht damals. mit deinem leben, dem letzen aufheulen lassen
der sternmotoren deiner honey chile.

dort wo dein leben endete, seines weiterging: da steht er nun.
unter den bäumen die sich wieder erholten.
dankbar wie nur alte männer sein können; mit wenigstens einem dankbaren blick.

für mac
für meinen vater


© schneewanderer